Mein Arbeitsversuch in einer Tischlerwerkstatt

Ich war der Meinung, dass dies die beste Gelegenheit wäre, um wieder einmal den Arbeitsplatz zu wechseln, und besprach mich über diesen Punkt mit dem Tischler. Dass mich der Italiener nicht so ohne Weiteres gehen lassen würde, davon war ich überzeugt. Ich war an seinen Betrieb gewöhnt und eingearbeitet, und dann war es sicher nicht leicht, schnell eine junge Arbeitskraft zu bekommen, die er ausnützen konnte, wie er wollte.

Hier war also nur List am Platze!

Es war Sonnabend. Der Tischler arbeitete zum letzten Male da und ich verabredete mit ihm, wann ich hier weggehen, und bei ihm anfangen wollte. Der Tag wurde auf Montag festgesetzt.

In Asuncion gastierte gerade ein deutscher Zirkus. Diese Sensation wollte ich mir natürlich auf keinen Fall entgehen lassen. Ich erachtete es für sehr nötig, wieder einmal über die Späße der Clowns lachen zu können, und dann waren die Dressuren wilder Tiere schon immer mein Schwarm. Am nächsten Morgen fragte ich Herrn Alfonso, ob ich in die Vorstellung gehen dürfte und er erlaubte es, was ich gar nicht erwartet hatte. Allerdings verfolgte Herr Alfonso einen ganz bestimmten Zweck mit dieser Erlaubnis. Ich sollte nämlich aufpassen, mit wem die beiden Töchter von ihm in den Zirkus gehen würden. Aber ich dachte gar nicht daran, die beiden zu verraten, kannte ich doch diese Liebhaber schon lange. Ich wusste sogar Beruf und Adresse, denn ich hatte früher oft Liebesbriefe hinbringen müssen. –

Die erste Vorstellung im Zirkus begann um elf Uhr. Es war ein großes Fest für mich, und vieles, was gezeigt wurde, hatte ich noch nicht gesehen. Ein Dompteur legte sich auf den Rücken eines Löwen, ohne von ihm gebissen zu werden. Dann balancierte ein junges Mädchen auf einem Drahtseil und fuchtelte mächtig mit einem Regenschirm in der Luft herum, und erntete großen Beifall. Das Programm war sehr vielseitig, und ich war restlos begeistert. Nach zwei Stunden war die Vorstellung beendet, aber ich hatte noch keine Lust, nach Hause zu gehen.

Was konnte mir schon passieren, wenn ich mir noch eine Vorstellung ansah?

Ich kannte keine Angst, dazu hatte ich schon zuviel erlebt. Kurzerhand blieb ich also sitzen. In der Pause war es natürlich nötig, mir irgendeine Beschäftigung zu suchen, um nicht aus dem Zelt gejagt zu werden. Zuerst las ich mit ein paar eingeborenen Jungens Papier auf, das die Zuschauer weggeworfen hatten. Ab und zu fand einer ein Geldstück, oder sonst einen brauchbaren Gegenstand. Ich hatte da kein Glück.

Nachdem alles schön sauber war mussten wir Wasser holen. Die Eimer, die wir zu tragen hatten, waren schwer, aber keiner ließ ein Wort der Klage hören. Wir waren alle viel zu sehr in unserem Element, als dass einer etwas gesagt hätte. Er wäre dann in den Augen der anderen nur als Schwächling dagestanden.

Nach der zweiten Vorstellung mussten wir gleich wieder in Reichweite bleiben, um unseren Säuberungsdienst fortsetzen zu können. Es machte mir größte Freude, für einen deutschen Zirkus zu arbeiten, und ich war mit voller Begeisterung bei der Sache. An den Heimweg dachte ich überhaupt nicht mehr. Es schien mir überdies vielmehr das Beste, noch an diesem Tage zu dem Tischler zu gehen. „Rücken“ musste ich sowieso, und da war es schließlich gleich, ob heute oder morgen. Meine Sachen konnte ich ja später abholen.

Die letzte Vorstellung lief, und es war bereits zehn Uhr geworden. Draußen war stockfinstere Nacht.

Plötzlich hatte ich einen wunderbaren Einfall. Ich wollte mich persönlich bei dem Direktor vorstellen, um mich um eine Arbeitsstelle zu bewerben. Vielleicht kam der Zirkus in nächster Zeit wieder einmal nach Deutschland, und es bot sich mir dadurch eine einmalige Gelegenheit, in die Heimat zu kommen.

Das die Idee gut war, davon war ich überzeugt. Was galt schon die Arbeit, die bestimmt nicht leicht war, wenn ich sie mit dem Gedanken getan hätte: Du kommst wieder nach Hause! Zurück in die Heimat. –

Ich war vor Freude ganz aufgeregt. Mein Herz schlug viel schneller als sonst, und ich konnte es gar nicht erwarten, bis ich vor dem Direktor stehen würde.

Und dann war es soweit. Wie ein Wilder hatte ich mich durch eine Menge schimpfender Arbeiter hindurch gekämpft, bis ich endlich den Wohnwagen, den ich suchte, erreicht hatte. An der geschlossenen Tür hing ein kleines Schild mit der Aufschrift: „Direktor“.

„Nun, was ist los mein Junge?“ empfing er mich in spanischer Sprache.

Ich zögerte einen Augenblick mit der Antwort. Dann sagte ich:

„Herr Direktor, ich bin Deutscher. Reden sie ruhig deutsch mit mir. – Sie werden mich sicher heute im Laufe des Tages schon gesehen haben. Ich habe nämlich immer für die Löwen Wasser geholt, und es hat mir so gut gefallen. Nur wegen ihnen bin ich von meinem Arbeitgeber weggelaufen. Bitte, lassen sie mich in ihrem Zirkus bleiben. Sicherlich kommen sie bald einmal wieder nach Deutschland, in ihre und meine Heimat. Ich möchte so gern bei Ihnen arbeiten. Stellen sie mich an, wo sie wollen. Es ist ganz gleich, welche Arbeit ich zu verrichten habe, nur, schicken sie mich nicht wieder fort. Ich muss nach Deutschland zurück! Dort wartet meine Mutter auf mich. Ich muss um jeden Preis wieder zu ihr. Aber ich habe kein Geld, kaum etwas anzuziehen. Nur sie allein können mir helfen, mein Ziel zu erreichen.

Ich gehe auch hier in dem fremden Land nicht unter, aber meine Mutter wird das nicht ertragen. Nur ihretwegen will und muss ich zurück!“

Der Direktor hatte mich ohne Unterbrechung angehört. Auch jetzt nachdem ich geendet hatte, ließ er sich noch Zeit mit der Antwort. Das Schweigen lag wie drohend in dem engen Raum und machte mich bald rasend. Aber ich hatte keine Kraft mehr, noch etwas zu sagen. Ich musste mich erst wieder sammeln.

Da endlich machte mein gegenüber den Mund zum Sprechen auf. Er sprach sehr langsam, als müsste er jedes einzelne Wort besonders hervor heben. Seine Worte hatten etwas Zwingendes, und man konnte deutlich heraushören, dass er keine Widerrede gewohnt war.

„Ich kann voll und ganz verstehen, dass du so gern wieder nach Deutschland zurück möchtest, mein Junge. Ich muss Dir sogar meine Anerkennung für Deinen Wagemut und Deinen guten Willen aussprechen, aber trotzdem muss ich Dich enttäuschen, denn ich kann und darf Dich nicht in mein Geschäft aufnehmen. Du bist noch ein Kind, und stehst unter dem Schutz Deiner Erziehungsberechtigten. Und außerdem scheinst Du die Arbeit bei uns doch ein wenig zu unterschätzen. Es kommt in unserem Beruf nicht nur darauf an, willig zu sein, man muss auch die Strapazen und Entbehrungen ertragen können. Doch von allem abgesehen wäre es zwecklos, wenn Du zu mir kommen würdest. Ich kehre mit meinem Zirkus, solange ich der Direktor bin, nie mehr nach Deutschland zurück.

In einer süddeutschen Stadt habe ich einmal mein ganzes Geld in Reklame, neue Galanummern, Kostüme usw. gesteckt. Als alles in Ordnung war brach ein Brand aus, und mein schwer erarbeitetes Riesenzelt war futsch.

Was waren die paar Mark von der Versicherung? – Davon konnte ich mir gerade dieses Zelt kaufen, aber sonst war ich ruiniert. Als reicher Mann bin ich in die Heimat gekommen, und als Bettler habe ich sie verlassen. Deshalb ist Deutschland für mich erledigt. Das wirst Du wohl verstehen!“ –

Diese Worte waren deutlich genug, um zu wissen, dass ich hier an den falschen Mann gekommen war.

Das fühlte ich sofort heraus, und gab mich demzufolge auch keinen Hoffnungen hin, die doch zu nichts geführt hätten. Jedenfalls wusste ich nun, dass ich nicht allein an einem schweren Los zu tragen hatte. Das es vielmehr noch Menschen gab, die schon viel Schlimmeres erlebt hatten.

Es folgte dann noch ein kurzes und Inhalt loses Palaver, und ich verließ den Zirkus traurig und niedergeschlagen. Aber was nützte das alles? Das Leben ging bestimmt auch so weiter, ohne dass ich ein Zirkusmensch geworden war.

Die große Uhr am Präsidentenpalast schlug halb zwölf, als ich an dem eleganten, weißen Gebäude mit den vielen erleuchteten Fenstern vorüberkam. Wahrscheinlich wurde hier noch irgendein wichtiger Staatsplan ausgearbeitet. Die Menschen, die in diesem Hause wohnten, hatten sicher auch ihre Sorgen, genau wie der Zirkusdirektor und ich, dachte ich mir, und war überzeugt, dass ich mit dieser Vermutung das Richtige getroffen hatte. Man wird über allerhand diskutieren, und hinter den weißen Spitzengardinen über große Zeichnungen gebeugt sein, während ich auf den breiten Geschäftsstraßen herumbummelte, und nach einem Nachtquartier suchte.

Es kam mir wieder in den Sinn, dass ich ja schon einmal ohne Bleibe war, und in der gleichen Stadt herumgeirrt bin. Damals war es jedoch noch ganz anders um meine Zukunft bestellt. Da hatte ich noch keine Pläne, und noch keinen Anfang.

In tiefster Finsternis erreichte ich dann den Hafen und die langgezogenen Werftanlagen. Hier musste sich eine Gelegenheit zum Übernachten finden. Ringsherum war kein Mensch zu sehen und zu hören. Langsam tastete ich mich durch die Lastkähne, Schleppdampfer, Segeljachten und Motorbooten hindurch, die wie schwarze Ungeheuer anmuteten. Ein großer Teil von ihnen war auf den Strand gezogen. Ein bisschen unheimlich war es bestimmt, aber ich kannte keine Angst.

Dann schlug es zwölf. Ich lauschte dem Klang der Glocke nach, der langsam im Dunkel der Nacht verhallte. Es schien mir fast wie ein Märchen, wie eine Begnadigung, dass ich eine solche Nacht erleben durfte; so herrlich und so unheimlich war sie. Die kleinen Wellen des Rio-Paraguay plätscherten leise über die Kieselsteine am Ufer, als wollten sie zum Bade locken. Man konnte fast die Hand nicht vor den Augen sehen. Nichts war zu hören, was auf die Anwesenheit eines Menschen hätte schließen können, und es wunderte mich einigermaßen, dass hier keine Hafenwachen herumliefen.

Ich sah um mich und suchte nach einem passenden Schiff, in welches ich mich hätte legen können, aber es schienen nur große Kähne da zu sein.

Endlich fand ich im Schatten einiger Motorboote ein kleines Lastschiff, dass sich nach meiner Ansicht recht gut für mein Vorhaben eignete. Leise schlich ich mich ganz nahe heran und betrachtete es von allen Seiten. Es war gar nicht sehr hoch, und mit einem kühnen Sprung konnte man ganz gut hinein gelangen, wenn nur die dumme Wölbung der Schiffswand nicht gewesen wäre. Ich krabbelte noch einmal an die andere Seite, aber auch hier wäre es nicht besser gegangen. Also kam es nur auf einen Versuch an.

Kurz entschlossen nahm ich einen kleinen Anlauf und sprang an der Außenseite des Schiffes empor. Mein Sprung verursachte natürlich unvermeidlichen Krach, durch den einer der pflichtvergessenen Wachtposten aus seinem Nickerchen geweckt wurde, das er in irgendeiner stillen Ecke gehalten hatte. Er musste ganz in meiner Nähe geschlafen haben, denn ich hörte deutlich ein paar eilige Schritte auf mich zukommen. Wie ein geölter Blitz rutschte ich wieder von meiner luftigen Höhe herunter und ließ mich in das üppige Gras fallen, wo ich regungslos verharrte. Der Bootskörper bot mir reichlich Schutz, so dass ich keine Angst vor der Entdeckung zu haben brauchte. Mein Freund Polizist ging federnden Schrittes an mir vorüber, indem er ein paar unverständliche Worte murmelte. Als er merkte, dass er sich getäuscht hatte, nahm er seine faule Patrouille wieder auf.

Ich versuchte mein Glück noch einmal, aber etwas leiser. Mit letzter Kraftanstrengung zog ich mich in das Innere des Bootes fallen. Hier stießen mich Schotten und Spanten, die aus solidem Eisen geschmiedet waren, feindselig in die Rippen, sodass mir sämtliche Knochen und andere Körperteile unangenehm weh taten. Noch einmal lauschte ich in die Nacht hinaus, aber der Posten schien seinen Schlaf, der durch mich unterbrochen worden war, wieder aufgenommen zu haben.

Nun musste ich es mir in meinem Bett so angenehm wie möglich machen. Am Bug des Schiffes war eine kleine Kammer angebracht, die mit Tauen, Haken und Werkzeug gefüllt war. Leise räumte ich diese Gegenstände aus, um diese Kabine als Schlafraum benützen zu können. Leider ging das aber nicht so einfach. Der kleine Raum konnte mich nur halb bergen. Entweder musste der Ober- oder Unterkörper im Freien bleiben. Nach einigen Versuchen schien es mir das Beste, die wertvollere Hälfte, also die, zu welcher der Kopf gehörte, in der Kabine unterzubringen, während die Beine in der Zwischenzeit unter Gottes weitem Himmelszelt frische Luft schnappen konnten. Letztere deckte ich noch mit meinem Mantel zu, um nicht morgen beim Erwachen über Eisbeine klagen zu müssen. Leider geschah das aber doch.

Mit dem Vieruhr-Glockenschlag war meine Nachtruhe zu Ende. Durch die nächtliche Kälte war mein Körper ganz steif geworden, und ich musste mich erst ordentlich massieren, ehe ich auf die Beine kam. Dann verließ ich sacht und leise mein Quartier. Es war schon ziemlich hell, als ich als erster Fußgänger durch die noch unbelebten Straßen Asuncions, dem Markt zulief.

Um die Kälte gänzlich aus meinen Gliedern zu verjagen, machte ich einen Dauerlauf um das Merkado-Gelände herum, denn die Tore waren noch verschlossen. Erst um fünf Uhr – um diese Zeit kamen die ersten Marktfrauen mit dem Zug, mit dem auch ich früher immer in die Stadt gefahren war – wurde der Markt geöffnet.

Dann ging ich in eine der kleinen Imbissstuben, die durch ihr unhygienisches Aussehen sehr abstoßend wirkte, und trank eine Tasse heißen Kaffee. Dazu verzehrte ich ein paar Galletas, die steinhart waren, und aus Weizen- und Maismehl hergestellt wurden.

Nachdem ich mich genügend gestärkt hatte, half ich einem Apfelsinenhändler beim Zählen seiner Ware. Arbeit konnte ich auf jedem Stand finden, und jede Minute wurde mir ein diesbezügliches Angebot gemacht. Aber das war alles nichts für mich. Ich wollte eine feste Stellung haben und etwas Richtiges lernen. Nicht den ganzen Tag auf dem Markt herum treiben und Gelegenheitsdienste annehmen. Deshalb ging ich ja auch zu dem Tischler.

Als die Apfelsinen gezählt waren, empfing ich meinen Lohn: Früchte, wie ich tragen konnte. Ich verließ den Markt, und marschierte langsam die schlecht gepflasterte Calle Alberti entlang. Unterwegs verzehrte ich in aller Ruhe meine Apfelsinen und als diese alle waren, bekam ich erst richtigen Hunger und Appetit. Das war natürlich auch ganz erklärlich, denn ich hatte ja am Tage vorher überhaupt nichts gegessen.


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