Mit großen Hoffnungen bog ich dann in die Calle de Oktubre ein. Ich gaukelte mir einen ausgebauten Tischlerbetrieb mit vielen Angestellten vor. Große Räumlichkeiten, Sägewerk und andere maschinelle Einrichtungen waren bestimmt auch vorhanden. Und wo werden wohl die Gesellen essen und schlafen? Bestimmt hatte Herr Genes irgendwo im Garten eine kleine Küche eingerichtet, wie das in Asuncion überall der Fall war, und wo ein Küchenmädchen für alle das schmackhafte Essen zubereitete. Und ein geräumiges Gebäude, wo Meister und Gesellen gemeinsam wohnten, war bestimmt auch vorhanden.
Das waren so meine Gedanken in der Calle de Oktubre. Dann achtete ich wieder an andere Sachen. An Deutschland, an zu Haus!
Bald wurde ich jedoch aus meinen Träumen geweckt, denn unweit hörte ich das Geräusch von arbeitenden Sägen. Das muss der Taller de Carpinteria sein, dachte ich. Ich ging auf das Haus zu, und klatschte laut in die Hände, denn Klingeln gab es in Südamerika nicht. Ein Kopf erschien an der Hausecke, verschwand aber sofort wieder, um eine Minute später erneut zum Vorschein zu kommen.
Ich erkannte sofort den Tischlermeister wieder. Das Sägen hatte inzwischen aufgehört, und ich war der Meinung, Herr Genes hatte bisher noch allein gearbeitet. Das war ja auch sehr gut möglich, denn es war noch früh am Tage.
„Buenos dias“, rief er mir zu, „venga entra!“
Komm herein, hieß das, und ich zögerte auch nicht mit dem Eintreten. Er führte mich in das stattliche weiße Gebäude. Im Inneren war kein Möbelstück zu sehen. Das Haus, das aus einem einzigen Raum ohne Dachverschalung bestand, war auch innen weiß getüncht,
und enthielt nichts als ein altmodisches großes Grammophon und eine Menge Werkzeuge, die an den Wänden herum standen, oder lagen. Ein breiter Vorbau, der auf einem hohen Sockel ruhte, war die ganze Werkstatt, d. h. es stand da eine wackelige Hobelbank und an der Hauswand waren eine Menge Latten und Bretter aufgestellt. Um die beiden mächtigen Säulen, die das schräge Dach zu stützen hatten, lagen ganze Berge Hobel- und Sägespäne herum.
Der Meister zeigte mir seine neue Arbeit, und erklärte mir die Bedeutung der unzähligen Leisten und Latten, die überall herum lagen.
„Das ist mein neuer Auftrag“, sagte er, „sechs wunderbare neue Lehnstühle.“
Ich war gar nicht richtig bei der Sache. Erst hatte ich gedacht, er sei der Chef einer großen Schreinerei, und jetzt…?
„Komm, ich zeige Dir mein Wohnhaus!“
Es war mir ganz recht, dass er meine Gedanken ein wenig zerstreute.
Unser Spaziergang ging durch den Garten weiter. Vorbei an einem großen blechernen Wassertank gelangten wir in das Wohngemach des Tischlers. Dieses idyllische war eine komfortable Nachbildung irgendeiner Indianerhütte im Inneren des Gran Chaco, im westlichen Paraguay.
Wie konnte ich nur zu einem Mann gehen, der als alter Junggeselle eine verbeulte Wellblechbude bewohnte? –
Wahrscheinlich war das auch so ein verkommenes Genie, wie sie ja leider so reichlich auf Gottes weitem Erdboden herumlaufen! Es erschien mir unglaublich, dass ein Mensch in einem solchen Loch wohnen könnte. Aber an der Tatsache war nichts zu ändern, sooft ich mir auch die Augen rieb und hinschaute, die Wellblechbude blieb.
Dieser von dem Meister selbst zusammengezimmerte „Palast“ war einfach fabelhaft eingerichtet. Als mein erster Blick in diesen Saustall fiel, glaubte ich, mich in einer Lumpenhandlung zu befinden. In der einen Ecke stand ein Tisch mit dreieinhalb Beinen, der mit allerhand Geräten und Instrumenten bedeckt war. Ein verbogener Blechteller, eine Kaffeetasse ohne Henkel, ein schmutziger Esslöffel, der bestimmt noch vom gestrigen Abendessen liegengeblieben war, und noch so verschiedener Krimskrams. Auf dem Fußboden stand ein mit Hobelspänen gefüllter Holzkasten, der noch anderes Heizmaterial barg, ein Spirituskocher in Miniaturausgabe, und noch eine Menge anderer Sachen, deren Bedeutung ich im Augenblick noch nicht ergründen konnte. An der hinteren Wand stand ein erstaunlich neuer Schrank.
„Ja, da staunst Du wohl?“ fragte mich der Meister, als ich eine Zeitlang vor dem Prachtstück stehen genlieben war.
„Das habe ich selbst gemacht. Aber nun steh nicht so lange herum, sondern trink eine Bombilla Mate mit mir, das wird Dir guttun!“
Nach der Stärkung begann ich sofort meine Arbeit. Zuerst räumte ich einmal überall gründlich auf, denn in so einem Raum konnte ich mich nicht aufhalten. Alle herumliegenden Gegenstände erhielten ihren festen Platz. Dann hackte ich Holzabfälle klein, um sie in dem kleinen Holzkohleofen verfeuern zu können. Das Essgeschirr und alle Ecken gründlich ausgekehrt. Jetzt erst konnte ich mich dem Tischlermeister zur weiteren Verfügung stellen. Er hatte inzwischen seine Lehnstühle beiseite geschoben, und an einem einfachen Feldbett gearbeitet, das mir als Schlafstelle dienen sollte. Am Nachmittag ging er mit mir in die Stadt, und kaufte ein Stück billiges aber haltbares Sacktuch. Wieder daheim angekommen, wurde es zurechtgeschnitten, und über die stabilen Leisten des Scherenbettes gespannt und festgenagelt. Mein Nachtquartier war fertig!