Überfahrt per Schiff nach Südamerika

Wundervolle Abendstimmung herrschte auf dem ruhig dahingleitenden Schiff. Friedlich lag die Nacht um uns. Der Himmel war tief schwarz, kein Lüftchen regte sich. Die Wellen des Meeres schäumten nicht wie am Tage mit ihren weißen Gischtkämmen auf uns zu, um dann am Bug mit einem Rauschen, das oftmals wie heimliches Seufzen klang, zu zerschellen. Es schien, als wäre die ewige Melodie des Meeres heute verstummt. Aber es schien nur so! Es brodelte und rauschte doch immer weiter. So ganz leise, geheimnisvoll, oder gar heimtückisch? Oder vielleicht gar zärtlich, wie das Flüstern der Papageien im Urwald?

Es rauschte weiter, das Meer. Es raschelte und knisterte, wie das Feuer in alten Kaminen; man konnte es nur nicht sehr deutlich hören heute, aber es rauschte weiter.

Sehr still war es in dieser Nacht. Fast schien es wie die Ruhe vor dem Sturm, als wollte bald etwas geschehen. Irgendetwas unheimliches, unerklärliches. Aber, was sollte denn schon auf diesem Schiff geschehen, auf dem drei lange Wochen hindurch nichts geschehen war. Und gerade heute? Gerade heute, am vorletzten Tag der großen Reise?

Unsinn! Ausgeschlossen! Die Nerven waren vielleicht etwas überreizt von der Erwartung, oder die Seekrankheit war schuld. Ja, natürlich, die Seekrankheit war schuld.

Ich war furchtbar seekrank! Früher hatte ich immer behauptet, so etwas gäbe es nicht. Lächerlich, alles Einbildung, dachte ich. Aber dann war sie doch eines Tages da. Ganz plötzlich. Und es wollte einfach nicht besser werden; es wurde immer schlimmer, von Tag zu Tag. Man fühlte sich schwach, und wurde so nervös und gleichgültig dabei. Ja natürlich, die Seekrankheit war schuld.

Aber die „Espana“ war nicht seekrank. Sie stampfte unbeirrbar weiter. Immer nach Süden. Der stählerne Leib dröhnte manchmal, und stöhnte, aber die Maschinen arbeiteten. Unaufhörlich drehte sich die schwere Schraube um sich selbst, als wollten sich die Flügel überholen. Immer gleichmäßig langsam drehte sich die Schraube, und sang ihr monotones Lied.

Die blitzenden Sterne am schwarzen Himmel leuchteten abwechselnd auf und gaben den Takt zu diesem Liede an.

So hell und so nahe strahlten die Sterne, als wollten sie uns verleiten, nach ihnen zu greifen. Sie waren das letzte Andenken an die ferne Heimat. Auch dort leuchteten sie so wie hier, ganz genau so. Es waren ja auch die gleichen Sterne, zu denen einmal unsere Kinderaugen aufgeschaut hatten in wahrem Entzücken. Aber das war schon so lange her. Man hatte es schon bald vergessen. Nur die Heimat, die so weit zurück lag, vergaß man nicht. Nein, man würde sie nie vergessen, auch wenn man sie nie wiedersah.

Die meisten Fahrgäste der „Espana“, befanden sich auf dem Oberdeck. Sie lagen in bequemen Liegestühlen und genossen die frische und reine Luft. Wenn es Tag gewesen wäre, hätte man die Delphine und die geflügelten Heringe beobachten können, wie sie in lustigem Spiel über die grünen Wellen segeln, oder man könnte die weißen Möwen sehen, die mit munterem Gekreisch um die hohen Masten schwirrten, oder sich auf den Gischtkämmen schaukelten.

Ein paar Mal hatte auch ich schon versucht, mich in einen der herumstehenden „Faulenzer“ fallen zu lassen, aber es ging beim besten Willen nicht. Am sichersten stand ich noch an der Reling. Wenn ich dann ins Meer schaute, war das vollkommen ungefährlich, und ich war immer gleich an Ort und Stelle. Ja, die Seekrankheit!

Die „Espana“ nahm auch keinerlei Rücksicht auf die Fahrgäste. Sie schaukelte und schaukelte. Jedes Mal, wenn eine Welle kam, hob sie die Nase in die Höhe, als hätte sie Angst vor dem Anprall, und dann tauchte sie wieder den Bug tief hinunter. In dieser Nacht ging es ja noch ganz gut, denn die See war außergewöhnlich ruhig. Aber die „Espana“ schaukelte doch ein wenig.

Ich hatte schon große Sehnsucht nach festem Boden unter den Füßen, denn seit mehr als vierzehn Tagen schmeckte mir das Essen schon nicht mehr, und wir fuhren bereits drei Wochen.

Als ich in Hamburg an Bord kam, wollte es mir nicht in den Kopf, dass es möglich sei, ein so großes Schiff auf dem unendlich weiten Meer vorwärts zu bringen. Meine Kenntnisse der Technik waren gleich Null, und alles, was damit zusammen hing, für mich unverständlich. Nach den ersten acht Tagen an Bord war das jedoch schon ganz anders geworden. Alle Ecken und Kammern des Schiffes hatte ich durchstöbert, und es gab fast nichts, was mir unbekannt war.

Die Stewards waren meine besten Freunde, aber auch die ölgeschwärzten Heizer und Maschinisten waren mir bald so vertraut, dass sie mir alles bereitwilligst erklärten, was ich wissen wollte. Im Maschinenraum konnte ich mich genauso sicher bewegen wie früher in der Schule. Kein Gang war mir geheim geblieben. Wo das Interesse fehlte, tat die Neugierde ein Übriges.- Wie Kinder nun einmal sind. Alles müssen sie erforschen, eher gibt es keine Ruhe.

Nun, wo alles untersucht war, hatte ich wieder ständig Langeweile. Es gab eben nichts Neues mehr zu sehen. Auch die anderen Kinder an Bord genügten mir nicht mehr zur Unterhaltung. Höchstens meine Freundin Edith, die ich übrigens später einmal heiraten wollte, konnte mir noch Genugtuung verschaffen. Mit ihr saß ich meistens am Heck unseres „langweiligen Kastens“, und wir schwärmten von einer goldenen Zukunft, die sich aber dann doch ganz anders gestalten sollte, als wir erwartet hatten.

Edith liebte mich über alles, und wir waren uns über das Kommende vollkommen einig. Der einzige Haken, der eventuell noch in Betracht gezogen werden musste war der, dass meine „Geliebte“ erst zwölf und ich 11 Jahre alt waren. Aber mit der Zeit würde ja auch das anders werden. Vorerst mussten wir uns allerdings trennen, aber vergessen würden wir uns deshalb noch lange nicht. Das hatten wir uns hoch und heilig versprochen, und daran war nichts mehr zu ändern!-

Die kleine Edith war überhaupt so ein liebes Geschöpf, und so geschickt wie sie war sonst keiner. Ich war überzeugt, dass ich nie im Leben eine bessere Frau finden würde.

Wie gesagt, war sie auch ausnehmend geschickt. Das bewies sie vor Allem beim Ausschneiden kleiner Schornsteinfeger, die wir dann im Winde davonflattern ließen. Stundenlang konnten wir zusehen, wie diese kleinen Männchen in der Luft herumtanzten. Das Papier, das dazu benötigt wurde, holten wir uns aus den Toiletten der „Espana“, womit wir uns ein für alle Mal die Rache der Stewards zugezogen hatten. Aber darüber machten wir uns nicht das geringste Kopfzerbrechen. Im Gegenteil! Wir holten nun das Papier gleich rollenweise, und versteckten es am Heck unter dem großen Ersatzsteuerrad, wo es keinesfalls leicht entdeckt werden konnte. War nun der Vorrat genug, dann konnte es an die Arbeit gehen. Wenn genügend Schornsteinfeger ausgeschnitten waren, ließen wir sie unter vielen lustigen Bemerkungen in die Luft flattern.

Das war so meistens unsere Unterhaltung, an der mein Bruder Günther gern teilnahm. Natürlich gab es zwischen Günther und mir auch manchmal heimliche Eifersuchtsszenen, die aber in Gegenwart Ediths, des Anstandes wegen, bestmöglichst vergessen wurden. Mir machte das aber weiter keine Sorgen, weil ich ja wusste: die Edith liebt nur mich allein!


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